„EinBlick“ in den Islam

An meine islamophoben Freunde

Erlaubt mir, Euch „meine Freunde“ zu nennen, auch wenn unsere Bekanntschaft größtenteils aus meiner Lektüre Eurer Beiträge auf verschiedenen Internetplattformen besteht. Es ist also gut möglich, dass Ihr Euch gar nicht an mich erinnert. Ich jedoch sehe Eure Kommentare jede Woche, manchmal täglich auf Facebook und Twitter. Sie handeln von den Errungenschaften der westlichen Gesellschaft und deren Bedrohung durch die islamische Lehre, die langsam das Herz unserer europäischen Normen herausschneidet … das behauptet Ihr zumindest. Jeder Artikel, den Ihr teilt, handelt von Scharia, von der Herabsetzung der Frau im Islam, vom Hass gegen Homosexuelle in muslimischen Gesellschaften. Ich sehe Eure Angst und auch Euren verletzten Stolz …, denn Ihr habt dafür gelitten, dass diese Gesellschaft zu dem wurde, was sie jetzt ist! Ihr seid jene Menschen, die mutig genug waren, sich den Chauvinisten, den Patriarchen und den Homophoben entgegenzustellen. Ihr habt erreicht, dass homosexuelle Paare in immer mehr Ländern heiraten können, Frauen Staaten regieren und Sexualität nicht nur an erfolgreichen Schwangerschaften gemessen wird. Ihr wart Freiheitskämpfer, körperlich und intellektuell ­­- dafür legen die Narben auf Euren Wangen Zeugnis ab. Ich kann verstehen, was Ihr durchmacht. Ihr habt mein Mitgefühl.

Es fällt mir jedoch auf, dass Ihr beim Verteidigen Eurer Grundsätze in die gleichen hasserfüllten Prinzipien verfallt, die Ihr beim Verteidigen der Tugend westlicher Toleranz bekämpft habt.

Ihr seid in Ballhäuser gegangen und habt als Männerpaare getanzt, habt gegen Rassismus und Sexismus demonstriert und Euch unermüdlich für die Gleichheit aller Menschen eingesetzt. Als Antwort schlugen Euch immer wieder Wellen der Aggression und Gewalt entgegen. Ihr habt diese Reaktionen verurteilt und Euch über sie hinweggesetzt. Euer unaufhörliches Aufzeigen von Missständen hat die Welt schließlich verändert und der Toleranz zum Sieg verholfen. Doch nun werden diese Errungenschaften bedroht – und Ihr reagiert darauf mit aggressiver Intoleranz.

Es ist das uralte Debakel des freien Gedankens: Muss die Toleranz die Intoleranz tolerieren? Wo und wann müssen die Toleranten aufhören, tolerant zu sein, um eben diese Toleranz zu schützen? Es gibt eigentlich keine Antwort. Es gibt nur den laufenden Prozess der Toleranz. Und dieser Prozess kann nur in eine Richtung gehen: Mehr Toleranz zu inspirieren – vor allem bei den intellektuell weniger Begabten.

Als junger Mann lebte ich in einem Umfeld, das für seine Toleranz berühmt war. Sie war sprichwörtlich auf der ganzen Welt. Ich glaubte auch daran… bis zu dem Tag, an dem ich von meiner Umgebung völlig akzeptiert und absorbiert war. An diesem Tag begann ich zu verstehen, dass die Atmosphäre nur wenig mit Toleranz zu tun hatte. Sie war größten Teils von Gleichgültigkeit geprägt. Das geheime Motto war: „Lass mich in Ruhe, und ich lass‘ dich in Ruhe. Aber das ist weit entfernt von Toleranz.

Toleranz ist eine Eigenschaft des Herzens. Sie ist die Frucht des Mitgefühls. Im Gegensatz dazu entspringt Intoleranz immer einer Angst, die sich in Hass verwandelt hat.

An der Wurzel der Intoleranz befindet sich immer eine tiefe, vergessene, aber unverheilte Wunde.

Und immer, wenn diese Wunde berührt wird, kehrt der Schmerz zurück. Der Grund für diesen Schmerz wird dann als Folge einer Provokation der Außenwelt wahrgenommen …, auch wenn die eigentliche Ursache tief im Inneren verborgen ist.

Wenn man dies versteht, kann man wirklich Toleranz üben, … nicht gegenüber dem Hass und den inadäquaten Reaktionen intoleranter Menschen, sondern gegenüber dem ursprünglichen Leiden des Hassenden.

Die Wahrheit ist: In den meisten Fällen ist es nicht die Religion, die intolerant ist. Aber es gibt immer wieder Menschen, die Religionen für einen intoleranten Zweck missbrauchen. Es gibt Gesellschaften auf diesem Planeten, die nicht einmal damit begonnen haben, alte kollektive Wunden, die seit Jahrhunderten von Eltern auf ihre Kinder weitergegeben werden, aufzudecken. Anstatt die Ursachen des Leids zu suchen und zu finden, missbrauchen diese Leute ihre Religionen und Glaubensrichtungen, um die Verantwortung zu externalisieren. Doch das trifft nicht nur auf den Islam zu! Alle Fundamentalisten tun das.

Sie dogmatisieren die Strukturen des täglichen Lebens so streng, dass sie zu einem starren Gitter werden, das es ihnen ermöglicht, sich dem Schmerz zu entziehen, solange sie nicht daneben treten. Und immer, wenn etwas oder jemand nicht dem Dogma entspricht, das Gitter verfehlt und somit das Leiden auslöst …, nennt man dieses Ereignis oder diese Person böse. Dies ergibt den klassischen Mechanismus des Sündenbocks.

Es gibt viele verschiedene psychologische Schulen und Richtungen. Sie alle haben unterschiedliche Ansätze, diese Wunden zu heilen. Es ist vor allem eine individuelle Entscheidung, welcher man Glauben schenkt. Und ja, es ist auch ein Teil aller Glaubensrichtungen, aller Religionen, um den Weg zu zeigen, das Leiden der Menschheit zu beenden. Alle Propheten und Religionsstifter wurden in einer bestimmten Zeit geboren, in ein bestimmtes Volk, ein bestimmtes soziologisches Muster und einen bestimmten kulturellen Kontext. Aber gleichgültig wie erleuchtet diese Propheten und Gründer auch waren – nach einer gewissen Zeit waren ihre Lehren verzerrt, da die Menschen sich entwickelt hatten; oft auf eine Art und Weise, die diese heiligen Männer und Frauen beabsichtigt hatten! Daher mussten diese Religionen aktualisiert werden. Aktualisierung ist ein sehr gutes Wort für diesen Prozess! Es impliziert die Frage: Was haben die Menschen dieser religiösen Überlieferungen eigentlich gemeint? Der Prozess, von dem ich spreche, ist gemeinhin als Reformation bekannt (re-formieren ≙ in eine neue Form bringen). Aber ich finde den Begriff Aktualisierung viel besser. Er stellt eine direkte Verbindung her zwischen dem eigentlichen Sinn und dem spezifischen Ort, an dem, und der Zeit, zu der die Frage nach dem Sinn gestellt wird.

An meine christlichen Freunde

Alle Religionen hatten ihre Reformation(en), alle außer dem Islam. Der Islam ist (nur) etwa 1300 Jahre alt und hatte daher noch keine umfassende theologische Neudeutung seiner Prinzipien! Das heißt schon etwas. Von diesem Standpunkt aus gesehen, ist es ein Wunder, dass die Muslime ihre Religion noch verstehen. Aber tun sie das wirklich? Der Islam sagt, dass der Koran auf Arabisch (!) gelesen werden muss, um verstanden zu werden. Es gibt natürlich Übersetzungen. Aber Muslime sind sich einig, dass diese Übersetzungen weniger als ausreichend sind. Und selbst wenn Muslime, deren Muttersprache nicht Arabisch ist, gut genug Arabisch sprechen, um den Koran zu lesen, verstehen mehr als 90% dieser Gläubigen nicht wirklich, was sie lesen. Muslime müssen sich an einem Gelehrten wenden, um eine Auslegung des Wortes Gottes zu erhalten. Und hier müssen wir beginnen. Es ist nicht der Islam als Ganzes, der die westliche Lebensweise bedroht. Auch nicht jeder Imam, der den Koran interpretiert, bedroht westliche Standards. Die Gefahr liegt dagegen definitiv in einer fundamentalistischen Interpretation, die von einer sehr kleinen Minderheit ausgeht. An diesem Punkt begann die christliche Reformation. Die Menschen wollten verstehen und für sich selbst denken! Was wir Christentum nennen, entstand nicht mit Jesus Christus. Es wurde in den Jahrhunderten nach Christi Tod konstruiert. Die erste Organisation, die man „christliche Kirche“ nennen könnte, kann um das 3. Jahrhundert nach Christi Geburt datiert werden – ganz anders als der Islam, der von dem Propheten Mohammad gegründet wurde. Als Martin Luther und einige andere Theologen begannen das Christentum zu reformieren, war dieses als Religion – wie der Islam heute – 1300 Jahre alt. Ich möchte darin ein Omen sehen.

Werfen wir also einen Blick auf die Ursprünge des Islam und auf die Umstände zum Zeitpunkt seiner Entstehung. Dadurch können wir die Veränderungen, die der Islam seinen ersten Anhängern gebracht hat, verstehen. Schauen wir uns außerdem den Propheten und seine Lösungen sozialer Probleme, die heutzutage so wenig Verständnis in unserer abendländischen Gesellschaft finden, genauer an.

Als Mohammad seine Visionen hatte, aus welchen die Lehren des Islam hervorgingen, waren die arabischen Nationen lediglich ein Konglomerat aus vielen Stämmen, die einander vor allem bekriegten. Die Araber waren ein Volk des Krieges. Kämpfe waren im Wesentlichen das einzige, was sie alle gemein hatten. Kämpfen bedeutete im Grunde, dass die Männer ein sehr kurzes Leben hatten und die Frauen ungeschützt waren, um es gelinde auszudrücken. Es ist schwer, Aussagen über die damalige Zeit zu machen. Aber es gibt Geschichten, dass das Verhältnis von Männern und Frauen eins zu fünf war. Das war sehr schlecht für die Frauen. Sie wurden mehr oder weniger wie Besitz (oder schlechter) behandelt, und ihr Wert war im Grunde davon abhängig, dass sie männliche Nachkommen produzierten. Heirat in dem Sinne, dass ein Mann die Verantwortung für eine Frau und für seine Kinder auch nach der ersten erotischen Erregung übernahm, war nicht die Regel. Mohammad selbst hatte eine ganz andere Meinung von Frauen. Er hielt sie in hohem Ansehen und fragte sie um Rat. Seine erste Frau war viel älter als er selbst und unterstützte ihn finanziell in seinen religiösen Bemühungen. Dies waren die Umstände für die sozialen Veränderungen, die er als Prophet plante. Es gibt im Islam viele Gesetze bzgl. Frauen, die heute nicht mehr verstanden werden, weder von den westlichen Gesellschaften noch von den muslimischen Ländern! Nehmen wir zum Beispiel die Polygamie: Der Prophet erlaubte jedem Mann vier Ehefrauen. Der Grund für diese Regelung war hauptsächlich, dass es eine Verordnung geben musste, welche die Frauen schützte, insbesondere die Kriegerwitwen! In den prä-islamischen Gesellschaften endete eine Frau, die weder reich war noch männliche Verwandte hatte, die sich um sie kümmerten, leicht als Bettlerin auf der Strasse bzw. wurde versklavt oder musste sich prostituieren. Das Gesetz des Korans, das es einem Mann ermöglichte, mehr als eine Frau zu haben, war für viele Frauen ein Lebensretter, vor allem für diejenigen, deren Männer im Kampf gestorben waren.

Hinzu kommt, dass Mohammad den Frauen viele Rechte gab. (Übrigens viel mehr Rechte als Frauen bis vor kurzem in christlichen Ländern hatten!) Man muss sich vorstellen, dass vor ihm die meisten Frauen nahezu vollständig rechtlos waren. Nach islamischem Recht kann ein Mann nicht einfach eine zusätzliche Frau nehmen, wenn er will. Er muss seine erste(n) Ehefrau(en) um Erlaubnis fragen. Die Frau selbst (!) und ihre Familie müssen zustimmen. Er muss nachweisen, dass er alle Frauen und deren Kinder unterhalten kann. Das bedeutet, dass die Frauen mehr oder weniger getrennte Lebensbedingungen wie zumindest ein eigenes Zimmer oder sogar ein eigenes Haus haben müssen! Wenn eine Frau mit ihrem Mann nicht zufrieden ist, sei es mit seinem Verhalten und der Art, wie er sie behandelt, mit seiner finanziellen Situation oder sexuell, kann sie sich scheiden lassen.

An meine feministischen Freunde

Es gibt viele Geschichten über den Propheten und wie er mit den Problemen bzgl. der Rechte der Frauen innerhalb und außerhalb der Ehe umging. Ich bin kein Theologe, aber ich erinnere mich an eine Geschichte, welche die Art und Weise des Propheten sehr deutlich macht. Wie ich schon sagte, waren die arabischen Völker Krieger und viele von ihnen starben in der Schlacht. Dadurch gab es immer das Problem der Vererbung. Einmal kam eine Frau zu Mohammad und fragte ihn, warum es Frauen nicht erlaubt war, den Besitz ihrer Ehemänner, Väter und Brüder zu erben. Der Prophet gab ihr Recht. Ab sofort sollten alle Frauen das gleiche Erbrecht wie Männer haben. Als die Krieger davon hörten, gingen sie ebenfalls zum Propheten und fragten ihn, wie es denn sein kann, dass eine Frau ebenso viel erbt wie ein Mann. Ein Mann riskiere sein Leben in der Schlacht, eine Frau nicht. Daher sollte ein Mann das Recht haben, mehr als eine Frau zu erben. Der Prophet dachte darüber nach und entschied, dass Frauen stets halb so viel wie Männer erben sollten.

Im Licht moderner abendländischer Werte des 21. Jahrhunderts gesehen sind diese Gesetze alles andere als gleichberechtigt. Da gibt es keinen Zweifel! Aber wenn wir uns diese Geschichte – und viele andere – anschauen, wird eine Sache sehr deutlich: Der Prophet strebte Gleichberechtigung an! Wie man leicht erkennt, hätte er Frauen gern die gleichen Rechte wie Männern gegeben, aber er wusste, dass er, wenn er es getan hätte, große Teile seiner Anhänger verloren hätte. Zur Verbesserung der Umstände musste er Kompromisse schließen. Doch es gibt auch viele Punkte, in denen die islamische Gesellschaft bis zum heutigen Tag dem Westen in Sachen Gleichberechtigung um Längen voraus ist! Es ist schon seit jeher im islamischen Recht verankert, dass eine Frau für die gleiche Arbeit dieselbe Bezahlung erhält wie ein Mann! Wenn eine Frau heiratet, so steht dem Mann weder zu den Lebzeiten seiner Frau noch nach ihrem Tod ihr Vermögen zu! Sie darf damit Geschäfte machen, wie sie will, ohne dass ihr Mann ihr dabei hineinreden darf. Der Mann jedoch muss seine Frau unterhalten, egal wie reich sie ist. Sie kann ihr Vermögen nach ihrem Tod so vererben, wie sie es zu Lebzeiten festgelegt hat. Der Ehemann hat keine rechtliche Handhabe, das Testament seiner Frau anzufechten, wenn er dabei das Nachsehen hat. Er hat keinen Pflichtanteil! Meist erben die weiblichen Verwandten. Ein großer Teil des Vermögens der islamischen Welt befindet sich daher in den Händen von Frauen.

Im Islam wird der Prophet Mohammed als der perfekte Mensch angesehen. Er ist das ultimative Ideal, das von allen Menschen angestrebt werden sollte. Wenn Muslime versuchen, Mohammad ähnlich zu sein, sollten sie ihn nicht nur kopieren. Mohammed musste oft gegen den Wind segeln und erreichte nicht immer die Ziele, die er sich gesetzt hatte. Wie wir in der Geschichte mit dem Erbrecht sehen: Er wollte Männern und Frauen gleiches Erbrecht geben. Doch er stieß auf Widerstände und handelte in Folge dieser das Maximale für Frauen aus.

Wie zuvor erörtert: Mohammad stellte keine Regeln auf, die es den Männern ermöglichten, sich viele Frauen zu nehmen, um sich diese zu unterwerfen und sie sich erotisch zu Willen zu machen. Er schuf eine Art soziale Sicherheit für Frauen, die sie sonst nicht gehabt hätten. Gleichzeitig machte er es den Männern nicht einfach. Im Islam ist der Ehemann verpflichtet seine Frau/Frauen zufrieden zu stellen und ihre Anforderungen zu erfüllen, wirtschaftlich, emotional und sexuell! Er darf nur so viele Frauen haben, wie er zufriedenstellen kann. Natürlich ist auch dies kein Status quo, der auch nur in die Nähe von Gleichberechtigung zu setzen wäre. Aber wenn man die Situation betrachtet, wie sie vor dem Islam war, war dies sicherlich eine Verbesserung.

An meine muslimischen Freunde

Noch einmal: Der Prophet Mohammad gilt als der ideale Mensch. Er strebte konsequent das Ideal an, auch wenn er dieses nicht immer erreichte! Für jeden vernünftigen Menschen liegt klar auf der Hand, dass Mohammad sich enorm für die Gleichstellung der Geschlechter einsetzte. Aber er war sich auch der eingeschliffenen, Ungleichheit zwischen den Männern und Frauen seiner Zeit bewusst! Und er holte aus jeder ungleichen Situation so viel Gleichstellung wie möglich heraus! Wenn wir uns also Mohammads Perfektion so weit wie möglich annähern wollen, müssen wir von der heutigen Realität ausgehen und versuchen das zu erreichen, was Mohammad anstrebte! Der Prophet, wäre heutzutage der stärkste Verfechter für gleiche Rechte, wo sie noch nicht vollständig verwirklicht sind. Er würde die veränderten Umstände und die andere Zusammensetzung der Gesellschaften, die nicht mehr in erster Linie aus Kriegern bestehen, in Betracht ziehen! Der Prophet war inspiriert, intelligent, realistisch und praktisch. Er hätte nie versucht, Regeln zu verhängen, die nicht im Einklang mit den Menschen, mit denen er es zu tun hatte, waren, einfach weil dies einfallslos, unintelligent, unrealistisch und unpraktisch gewesen wäre!

Diese Art der Betrachtung der Person des Propheten ist nichts Neues. Es ist eine Tradition, die seit den Tagen des Propheten im Sufismus überliefert wurde. Man kann sehen, dass jede Sufi-Linie mit dem Namen des Propheten beginnt. Es wird gesagt, dass der Prophet seine geheimen Lehren einem inneren Kreis gelehrt hat, um sicherzustellen, dass der Geist seiner Lehren überleben würde, wenn sich die Zeiten und Umstände ändern. Dieser innere Kreis hat sich zusammen mit dem Islam und sogar darüber hinaus verzweigt. Wie der Islam hat er entsprechend der Umgebung, in der er gedieh, verschiedene Formen angenommen.

Am Ende dieser Gedankenreihe möchte ich ein Wort erklären, das Objekt vieler Interpretationen und Missverständnisse innerhalb und außerhalb des Islams ist. Ich spreche von dem Begriff „Jihad“. Heutzutage wird vielen Angst und Bange, wenn jemand „Jihadist“ genannt wird. Die Leute denken, „Jihad“ sei ein Synonym für „heiliger Krieg“. Nun, das stimmt eigentlich nicht! Das arabische Wort „Jihad“ bedeutet zunächst „Anstrengung“, „Kampf“,„Unterfangen“ und „Engagement“. In der islamischen Religion umfasst es ein wichtiges Konzept: Das Prinzip der Anstrengung oder des Kampfes auf dem Wege Gottes (al-dschihādu fī sabīli Llāh / al-ǧihādu fī sabīli Llāh ). Im Koran und der Sunna wird dieser Kampf oft als militärische Schlacht beschrieben – aber nicht nur. Ob dieser Kampf streng defensiv ist oder offensiv sein darf, unterliegt der Interpretation der Gelehrten. Ich möchte an dieser Stelle eine Sufi-Interpretation dieses Wortes vorschlagen:

Kampf mit dem anderen bedeutet Krieg. Kampf mit sich selbst bedeutet Frieden. Letzteres ist die wahre Bedeutung von „Jihad“.

Und da sind wir wieder am Anfang dieses Diskurses: Toleranz. Wenn die Anstrengung nicht nach innen gerichtet ist, um das Leid der Seele zu heilen, werden wir immer versucht sein, im Außen nach einem Sündenbock zu suchen, dem die Schuld gegeben werden kann.

Das ist es aber nicht, was Islam bedeutet. Islam bedeutet völlige Hingabe (an Gott). Diese Hingabe wird erreicht, indem man sich der Wahrheit im Inneren stellt. Innen kann man die Stimme des Göttlichen hören, und nur von dort aus kann man nach der Vollkommenheit des Propheten streben. Muslime wünschen dem Propheten dann auch nicht Krieg sondern das Gegenteil, indem sie jedes Mal, wenn sein Name genannt wird, eine Redewendung gebrauchen: Friede sei mit ihm.